Historisches
Dieser Platz, auf dem wir uns hier befinden, ist nach dem Chef der Ottakringer Sozialdemokraten zur Zeit des Aufstands 1911, Franz Schuhmeier, benannt. Schuhmeier selbst ist 1913 von Paul Kunschak, einem Bruder des späteren christlich-sozialen Nationalratspräsidenten Leopold Kunschak, am Nordbahnhof erschossen worden, es war ein politisch motiviertes Attentat. Sein Begräbnis ist zur größten Demonstration geworden, die Wien gesehen hat, fast eine halbe Million Menschen haben daran teilgenommen. Der Mörder ist 1918 im Zuge der allgemeinen politischen Amnestie nach Kriegsende wieder freigekommen. 1911 hat der Platz hier noch Habsburgplatz geheißen, aber die Schule hat es bereits gegeben.
Am Schuhmeierplatz hat es die längsten und härtesten Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen, vor allem Jugendlichen auf der einen und Polizei und Armee auf der anderen Seite gegeben.
Ausgelöst worden sind die Auseinandersetzungen hier durch einen Militäreinsatz beim Arbeiterheim gegen 16 Uhr, über den wir später noch berichten werden. Nach diesem Militäreinsatz ist ein Teil der Demonstranten hierher auf den Habsburgplatz gezogen, darunter viele Jugendliche, die zum Teil SchülerInnen der Schule hier gewesen sind.
Wie überall haben auch hier die DemonstrantInnen alle Laternen zerstört. Sie haben die Fensterscheiben der Schule eingeworfen, und mit einem Holzpfosten das Schultor eingedrückt. Einige Jugendliche sind in das Gebäude eingedrungen, haben Schulbänke aus den Fenstern geworfen, die draußen zu Barrikaden verarbeitet worden sind, und haben Zeugnisse, Hefte und Klassenbücher vernichtet.
Vor der Schule haben inzwischen andere aus dem Umfriedungsgitter der Schule Eisenstangen herausgebrochen und damit weitere Fenster eingeschlagen. Aus Schulbänken und Bauholz von einer nahen Baustelle sind dann zwei Scheiterhaufen errichtet und angezündet worden. Schließlich ist in der Schule die Wohnung des Schuldieners, der zu dieser Zeit unterwegs war, um die Polizei zu Hilfe zu rufen, in Brand gesteckt worden.
Um halb sieben Uhr hat dann der Polizeichef, der zu dieser Zeit am Hofferplatz war, Polizei und Militär zum Habsburgplatz geschickt. Die sind über die Thaliastraße vorgerückt, es waren einige Kompanien Infanterie und größere Kavallerieabteilungen dabei.
In der Thaliastraße haben zuvor schon Aufständische Eisendrähte quer über die Fahrbahn gespannt, um die Kavallerie am Vorkommen zu hindern. Zusätzlich sind mehrere Barrikaden quer über die Straße errichtet worden. Dazu haben die Aufständischen Bänke aus den Parks, Gasrohre und Material von Baustellen verwendet. Die Soldaten haben es also nicht leicht gehabt, vom Hofferplatz herauf zum Habsburgplatz zu kommen. Mehrere haben sich in den Drähten verheddert und sind vom Pferd gestürzt, dann haben sie erst die Menschen hinter den Barrikaden vertreiben müssen, ehe die Barrikaden abgebaut haben werden können. Und dazu sind die Soldaten immer wieder von den Häusern aus mit Gegenständen aller Art beworfen worden.
Die Feuerwehr ist vor den Soldaten am Habsburgplatz eingetroffen, und auch sie ist angegriffen worden. Zwischen die Beine der Pferde haben die Leute Sessel geworfen und sie so zu Sturz gebracht. Die Feuerwehrleute sind mit Stöcken und Steinen bedacht worden. Erst als das Militär und die Polizei am Habsburgplatz eingetroffen sind, haben die Feuer gelöscht werden können.
Trotzdem haben die Auseinandersetzungen am Habsburgplatz noch weiter angedauert, erst um halb zehn Uhr abends, als es im ganzen Bezirk schon stockfinster war, die Haustore auf Befehl der Polizei abgesperrt haben werden müssen, enden am Habsburgplatz die Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und den staatlichen Repressionskräften. Danach wird hier Kavallerie stationiert, der Platz gleicht einem Heerlager.
Hintergründe
Die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung war sich nach dem 17. September mit den bürgerlichen Zeitungen einig: Die Zerstörungen an diesem Tag waren das Werk von „gewissenlosen Skandalmachern“ und Provokateuren, von „Jugendbanden“ und „Lumpenproletariat“, Darüber waren sich übrigens auch die Zeitungen in ihrer Berichterstattung über die riots in London und anderen britischen Städten in diesem Sommer einig.
Verschwiegen worden ist sowohl im heurigen Sommer als auch 1911, dass die Aufstände jeweils mit Provokationen durch die Polizei begonnen haben. In Wien 1911 waren das die Einkesselungen der abziehenden oder noch vor dem Rathaus stehenden DemonstrantInnen und die folgenden Angriffe auf die Eingekesselten.
In London hat die Polizei am 4. August 2011 den 29jährigen Aktivisten Mark Duggan einfach erschossen. Als eine aufgebrachte Menge vor dem zuständigen Polizeikommissariat Aufklärung über diesen Mord gefordert hat, ist eine 16jährige Kundgebungsteilnehmerin vor den Augen ihrer FreundInnen von 15 Polizisten zusammengeschlagen worden. Das erst hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
Die Angriffsziele der Aufständischen 1911 waren die öffentliche Beleuchtung und der Verkehr, öffentliche Gebäude und Fabriken, wobei letztere sehr rasch von der Polizei genauestens bewacht worden sind.
Die Zerstörung der Straßenbeleuchtung hat, zusammen mit dem Barrikadenbau und dem Lahmlegen der Straßenbahnen, dazu gedient, der Gegenseite ein Eindringen in den Bezirk zu erschweren und die strafrechtliche Verfolgung von Beteiligten zu verunmöglichen. Heute kommt zur Beleuchtung die Videoüberwachung hinzu, und die ist gerade in London nahezu lückenlos. Die Polizei hat dann auch Aufnahmen von öffentlichen und privaten Videokameras dazu verwendet, sogenannte StraftäterInnen auszuforschen und die Bilder auf öffentlich aufgestellten Großbildschirmen gezeigt.
Die Schulen waren ganz offensichtlich bei den Ottakringer Jugendlichen besonders verhasst, und wir müssen uns dazu in Erinnerung rufen, dass die Prügelstrafe damals als sogenanntes Disziplinierungsinstrument im Unterricht gang und gäbe war.
Es ist also Unsinn zu meinen, der Ottakringer Aufstand sei völlig plan- und ziellos verlaufen. Was gefehlt hat, war eine Koordinierung unter den Aufständischen. Die Versuche, die Aktionen zu koordinieren, sind in London wiederum zum Teil über die Handys gelaufen, und auch das haben die Gerichte ausgenutzt, um Menschen zu drakonischen Haftstrafen zu verurteilen, bloß weil sie sich mit anderen telefonisch verabredet haben.