(Deutsch) Ein halbes Jahrhundert Kerker!

Aus. Wohlstand für Alle! Vom 11.10.1911

Noch arbeiten Bezirksgericht und Landesgericht in eifrigster Übereinstimmung daran, sich gegenseitig in ihrer unverhohlenen Klassenjustiz die Stange zu halten, mit der die Exzedenten vom 17. September verurteilt werden. Rund zwei Dutzend haben Kerkerstrafen von mindestens e i n e m J a h r e bekommen, und die obige Zahlensumme dürfte, wenn unsere Leser diese Zeilen lesen, weit überschritten sein; erst in einigen Wochen werden die Gerichte mit ihrer grausen Arbeit ganz fertig sein, und wir werden dann nicht verfehlen, die ungeheuerliche Totalsumme der verhängten Strafen vollzählig mitzuteilen.

Und was tut die Sozialdemokratie gegen dieses Vorgehen der Justiztücke gegen diejenigen, von denen die Prozeßverhandlungen aufs unzweideutigste bekunden, zu welcher Partei sie gehören? Nichts rührt sich, um der Justizfurie ein Halt zuzurufen, außer dummen Drohbriefen, die dem Gerichtssenat geschrieben wurden.
Die “große Partei”, die Siegerin vom 13. Juni — jetzt schlottert sie in Ohnmacht, Unvermögen, und ihre ganze Aktion erschöpft sich in hohlen, greinenden Worten. Bedauerlich sind die Unglücklichen, die dieser Partei auf den Leim gegangen, für keine edle Sache, kein Prinzip, sondern nur die Führerpolitik leiden; verlassen und verraten sind sie von der „Arbeiterpartei”.
Wann wird, so fragen wir h i e r m i t die s o z i a l d e m o k r a t i s c h e P a r t e i leitung, ihr die Zeit als reif zur Einleitung der P r o p a g a n d a und O r g a n i s a t i o n für d e n G e n e r a l s t r e i k d ü n k e n ? Nur dieser könnte die Justizopfer retten!
Und wie zum Hohne ist in den letzten zwei Wochen wieder alles teurer geworden, besonders aber die Milch, die Kohle, das Petroleum und der Zucker. Das sind die Haushaltsgegenstände des Proletariats, die notwendigsten Bedürfnisartikel. Zugleich stieg auch das Bier im Preis.
Was gedenkt die Sozialdemokratie gegen die Milchverteuerung zu tun? Sie gedenkt gar nichts dagegen zu tun, sondern “verlangt” ausschließlich— die Einfuhr des argentinischen Fleisches. Dieses Fleisch ist wichtiger als die Milch . . .